Hindernisse beim Vermitteln von Lernstrategien
"Sollten Lernstrategien nicht in der Schule vermittelt werden?" - diese Frage wird uns von Eltern immer wieder gestellt. Unsere Antwort: "Das sollte so sein und wird an ganz vielen Schulen auch gemacht. Nur sind die Jugendlichen oft nicht besonders interessiert daran." Viele Lehrpersonen sind nach den ersten Versuchen, ihrer Klasse Lerntechniken zu vermitteln, ernüchtert. Auch wir machten zu Beginn einige frustrierende Erfahrungen. Die Schüler/innen meinten, dass ihnen "das nichts bringt.", sie "es schon immer so gemacht haben." oder schlicht nicht begabt in Fach x sind und es deswegen auch nichts helfe, sich bessere Lernstrategien anzueignen. Man würde denken, dass Schüler/innen für alles offen sind, was ihnen das Lernen erleichtert. Warum das nicht so ist und welche Hürden wir nehmen müssen, um sie für neue Strategien zu begeistern, erfahren Sie in diesem Artikel.
Befassen wir uns also kurz mit einigen wichtigen Barrieren:
Eine schlechte Lernstrategie wurde gut geübt
Wenn wir schlechte Strategien lange genug üben, werden wir damit oft ziemlich erfolgreich. Ein typisches Beispiel hierfür ist das Tastaturschreiben. Haben wir zu Beginn keinen Kurs besucht und mit einem ungünstigen Tipp-System begonnen, wird es schwierig, dieses später zu ändern. Das jahrelange Training mit dem individuellen System hat zu einer beachtlichen Geschwindigkeit geführt: Wenn wir jetzt auf das eigentlich bessere und schnellere 10-Finger-System wechseln, sind wir zunächst langsamer. Die Folge ist in vielen Fällen, dass wir nicht mehr bereit sind, unser ungünstiges System aufzugeben - auch wenn wir vielleicht lediglich während einem halben Jahr langsamer und den Rest unseres Lebens schneller schreiben könnten.
Es ist daher günstig, wenn Kinder möglichst früh hilfreiche Lernstrategien kennenlernen und nicht erst, wenn sie sich jahrelang ungünstige Methoden angeeignet haben.
Wichtig: Während der Zeit des Übergangs benötigen Lernende viel Motivation und Unterstützung - jemanden, der ihnen klar vermittelt, dass sie Erfolge ernten werden und es sich lohnt, am Ball zu bleiben.
Lehrpersonen gehen davon aus, dass Lernen etwas sehr individuelles ist
Die meisten Lehrpersonen gehen davon aus, dass jedes Kind unterschiedlich lernt. Das stimmt auch - aber nur zum Teil! So gibt es beispielsweise Studien, die zeigen, dass einige Schüler/innen mit Musik besser lernen können, während andere absolute Stille benötigen.
Aber: Es gibt mehrere universelle Gedächtnis- und Lernprinzipien, die es uns allen erlauben, effektiver zu lernen. Hier muss die Lehrperson Sicherheit ausstrahlen und die Schüler/innen dazu anhalten, die wirksame Strategie auszuprobieren ohne den Satz "bei mir geht es so aber besser" vorschnell zu akzeptieren. Wir können uns dazu am Sport oder der Musik orientieren: Hier wird die Trainerin beispielsweise darauf bestehen, dass der Bewegungsablauf richtig ausgeführt wird, auch wenn dieser mehr Zeit benötigt, um ihn zu erlernen. Sie weiss, dass ab einem bestimmten Punkt nur noch Fortschritte möglich sind, wenn die Technik bzw. die Bewegung sauber ausgeführt wird. Wir können uns dazu das Beispiel des Maschinenschreibens aus dem letzten Abschnitt nochmals vergegenwärtigen: Hier würde der Schüler behaupten, dass er mit drei Fingern schneller schreiben kann als mit dem Zehnfingersystem. Nun braucht er eine Lehrperson, die sich sicher ist: Nach ein paar Wochen Übung wird auch dieser Schüler mit dem Zehnfingersystem Erfolge erleben.
Wichtig: Lehrpersonen müssen wissen, wo es hilfreich ist, wenn Schüler/innen mit unterschiedlichen Vorgehensweisen experimentieren und ihren individuellen Stil finden und welche universellen Prinzipien alle Schüler/innen beachten sollten.
Die Schüler/innen führen Leistungen fast ausschließlich auf ihre Begabung zurück
"Mathe checkt man halt oder man rafft es nicht - das kann man nicht lernen." oder "Ich bin einfach nicht sprachbegabt" sind typische Sätze von Schüler/innen. Hinter solchen Aussagen verbergen sich Ursachenerklärung für Erfolge und Misserfolge, die dazu führen, dass sich diese Schüler/innen kaum für Lernstrategien interessieren. Sehen wir uns das ein wenig genauer an: Wir können Erfolge und Misserfolge auf verschiedene Ursachen zurückführen. In der Psychologie spricht man von Attributionsmustern. Die wichtigsten werden auf der folgenden Grafik dargestellt:
Schüler/innen können den Lernerfolg (oder Misserfolg) auf die folgenden Ursachen zurückführen:
Extern / stabil: Die Lehrerin ist Schuld, dass ich nicht gut bin. Diese Erklärung schützt das Selbstwertgefühl, macht jedoch hilflos. Die Schüler/in muss auf eine andere Lehrperson warten, bis es sich lohnt, sich wieder zu bemühen.
Extern / variabel: Die Prüfung war zu schwierig / es war zu laut. Bei dieser Erklärung muss ich darauf hoffen, dass sich die Umstände das nächste mal günstiger zeigen.
Intern / stabil: Bei diesen Erklärungen gehen die Schüler/innen davon aus, dass es ihnen an Begabung oder der nötigen Intelligenz fehlt, um sich zu verbessern. Sie fühlen sich "zu dumm". Dieses Erklärungsmuster wirkt sich besonders negativ auf die Motivation und das Selbstwertgefühl aus.
Intern / variabel: Bei diesem Erklärfungsmuster suchen die Schüler/innen die Ursachen auch bei sich, gehen jedoch davon aus, dass sie sich verändern können. Sie führen den Misserfolg darauf zurück, dass sie zu wenig, das Falsche oder falsch geübt haben. Sie sind motiviert, sich zu verbessern und trauen sich dies auch zu.
Niemand erklärt sich Erfolge und Misserfolge immer gleich. Meist führen wir diese auch nicht auf eine Ursache zurück. Aber es lassen sich Tendenzen ausmachen. Schüler/innen, die vorwiegend das Gefühl haben, es fehle ihnen an Begabung oder Intelligenz, sind rasch entmutigt und lassen sich nicht auf Lernstrategien ein, da diese aus ihrer Sicht "eh nichts bringen."
Wichtig: Wenn wir Jugendlichen Lernstrategien schmackhaft machen wollen, müssen wir ihnen beweisen, dass sich diese tatsächlich auf den Lernerfolg auswirken. Besonders wirksam ist es, wenn einige Schüler/innen der Klasse die neue Strategie ausprobiert haben und der Klasse erzählen, dass ihnen diese geholfen hat.
Zeitdruck und Stress
Es braucht Zeit und innere Ruhe, um sich mit dem eigenen Lernverhalten auseinanderzusetzen und neue Strategien auszuprobieren. Wann aber sind wir Menschen bereit, uns mit unserem Verhalten auseinanderzusetzen und eine Veränderung zu erwägen? Dann, wenn wir mit unseren alten Strategien nicht mehr zurechtkommen.
Wir befassen uns mit Lernstrategien, wenn wir schlechte Noten schreiben und die Versetzung gefährdet ist. Genau unter diesen Bedingungen - Zeitdruck und Stress - sind wir aber geneigt, auf automatisierte, rigide Strategien zurückzugreifen.
Wichtig: Lernende benötigen jemanden, der mit ihnen ihr Verhalten reflektiert, wenn sie unter Druck geraten und in ungünstige Gewohnheiten zurückfallen. Jemanden, der sie dazu anhält, innezuhalten, nachzudenken und besonnen vorzugehen.
Schlechte Erfahrungen mit neuen Strategien
Viele Jugendliche sind dem Thema "Lernstrategien" abgeneigt, weil sie schlechte Erfahrungen damit gemacht haben. Dies lässt sich in vielen Fällen darauf zurückführen, dass ihnen irgendwann einmal Strategien vermittelt wurden, die unter den gegebenen Umständen ungünstig waren. Schüler/innen müssten in diesem Fall nicht nur Strategien kennen, sondern auch wissen, unter welchen Bedingungen diese anzuwenden sind.
Viele Lehrkräfte und Lernberater empfehlen Jugendlichen beispielsweise, Zusammenfassungen zu schreiben, ohne zu reflektieren, wann diese Strategie sinnvoll ist.
Zusammenfassungen haben dann einen Wert, wenn eine große Fülle an Stoff vorgegeben wird, jedoch nur eine Teilmenge davon wichtig ist. Der Schüler erhält beispielsweise 120 Seiten zu einem Geschichtsthema und hat die Aufgabe, wichtige Punkte aus den Texten herauszufiltern und bei der Prüfung wiederzugeben. Gibt der Lehrer jedoch vor, dass 15 Seiten aus einem bereits sehr verdichteten Lehrbuch zu lernen sind und erwartet er, dass die Schüler/innen die Inhalte bis ins Detail kennen, ist es äußerst ungünstig, wenn ein Schüler die Strategie "Zusammenfassung schreiben" verwendet. Er könnte eine richtige Zusammenfassung schreiben - also die 15 Seiten auf 2 bis 3 reduzieren mit dem Resultat, dass er das Meiste nicht gelernt hat und eine schlechte Note schreibt. Oder er kann die Methode dahingehend verwenden, dass er die 15 Seiten auf 13 Seiten zusammenfasst - was häufig gemacht wird, aber absurd ist. Der Schüler sollte im zweiten Fall ganz auf diese Methode verzichten und stattdessen auf Elaborationsstrategien setzen, also auf Strategien, die es erlauben, sich einen Text effizienter und effektiver zu erarbeiten und zu merken, anstatt ihn auf das Wesentliche zu reduzieren.
Wichtig: Schüler/innen benötigen Hilfe bei der Frage: Wann ist welche Lernmethode wirksam? Lehrkräfte sollten dabei in ihrem Unterricht nur Lernmethoden vermitteln, die auch wirklich zu der Art und Weise passen, wie sie prüfen.
Möchten Sie mehr über das Thema Lernstrategien wissen? Dann sind unsere Seminare zu diesem Thema vielleicht interessant für Sie:
Für Lehrpersonen:
Für Eltern:
Für Jugendliche:
Hinweis: Viele Lernratgeber, die sich an Schüler/innen richten, sind trocken geschrieben und hören sich in den Ohren der Jugendlichen mehr wie eine Moralpredigt ihrer Eltern an als wie ein hilfreiches Buch. Aus diesem Grund haben wir unser Buch "Clever lernen" in enger Zusammenarbeit mit Jugendlichen entwickelt und uns für die letzte Überarbeitung nochmals von 40 Jugendlichen Rückmeldungen eingeholt.