Erfolgsprinzipien zur Vermittlung von Lernstrategien
Lernstrategien zu vermitteln ist Knochenarbeit! Die meisten Lehrpersonen stellen frustriert fest, dass ihre Schüler/innen nicht gewillt sind, neue Lernstrategien auszuprobieren. Selbst wenn diese Hürde überwunden wird, fallen die meisten nach einigen Wochen wieder in ihr altes Muster zurück.
Das Einüben neuer Strategien gestaltet sich deshalb so zäh, weil die Schüler/innen dabei nicht nur neues Wissen erwerben, sondern ihr Verhalten ändern müssen! Sie müssen alte, gut eingeübte Strategien und Gewohnheiten ändern, wenn sie neue Lernstrategien in ihr Repetoire aufnehmen wollen. Das braucht Zeit und Kraft.
Möchten Sie Ihre Schüler/innen mit ins Boot holen, ihnen neue Lernstrategien schmackhaft machen und ihnen dabei helfen, nachhaltig effektiver zu lernen? Die folgenden Erfolgsprinzipien helfen Ihnen dabei.
Prinzip 1: Ermöglichen Sie positive Erfahrungen mit der neuen Lernstrategie
Wann sind wir bereit, uns anders zu verhalten und eine neue Strategie einzusetzen? Dann, wenn wir damit positive Erfahrungen gemacht haben!
Oft probieren die Schüler/innen neue Lernstrategien schlicht deshalb nicht aus, weil sie nicht daran glauben, mit der neuen Strategie effektiver lernen zu können. Die Schüler glauben beispielsweise, dass zusätzliche Strategien beim Textlernen (den Stoff mündlich wiedergeben, sich selbst mögliche Prüfungsfragen überlegen etc.) mit mehr Aufwand verbunden sind, als mehrmaliges passives Durchlesen des Stoffs. Wenn wir Jugendlichen in Trainings Textlernstrategien vermitteln, hören wir regelmässig den Einwand: "Ja, aber gibt das nicht noch mehr zu tun? Muss ich so nicht noch mehr lernen?"
Die Schüler benötigen nun den konkreten Gegenbeweis: die Erfahrung, dass sie sich den Stoff durch die neue Methode besser merken und das Gelernte länger behalten können.
Wir vermitteln daher zunächst lediglich eine einfache Erweiterung des passiven Lesens:
- Lest einen Abschnitt durch
- Erzählt euch selbst, was ihr gelesen habt
- Schaut nach, ob ihr alles richtig erinnern konntet und füllt die Lücken
- geht dann einen Abschnitt weiter und lernt auf diese Weise zwei Seiten des Lehrbuchs
Wir lassen die Schüler die Strategie anhand des aktuellen Prüfungsstoffs ausprobieren und fragen Sie danach ab. Die Schüler sind meist erstaunt, dass das Wiedergeben in eigenen Worten und das rasche Wiederholen dazu geführt haben, dass sie sich den Stoff schneller merken konnten. Nach dieser Erfahrung erklären wir, warum die Strategie wirksam ist und erweitern sie - wobei wir hier verschiedene Möglichkeiten vorgeben und die Schüler damit experimentieren lassen.
Als Lernberater oder Lehrer können Sie sich zu diesem Prinzip die Frage stellen: Habe ich dafür gesorgt, dass die Schüler/innen die Strategie ausprobiert und damit positive Erfahrungen gemacht haben? Falls ja, werden sie die Strategie mit grösserer Wahrscheinlichkeit beibehalten.
Prinzip 2: Vermitteln Sie nur eine Strategie auf einmal
An vielen Schulen werden Lernstrategien in Blockveranstaltungen vermittelt. Diese Form ist ungünstig, da auf diese Weise viele Lernmethoden auf einmal vermittelt werden. Die Schüler sind mit der Masse an Methoden überfordert, experimentieren in der Folge kaum damit und bleiben bei ihren mangelhaften, aber bewährten Strategien.
Effektive Lerncoachings und Lerntrainings finden in Abständen statt, wobei beispielsweise in wöchentlichen Sitzungen jeweils eine Strategie vermittelt und ausprobiert wird. Noch effektiver ist die Vermittlung im Rahmen des Unterrichts durch die jeweiligen Fachlehrer. Vermitteln Sie wenige oder nur eine Strategie auf einmal und lassen Sie die Schüler/innen Erfahrungen damit sammeln. Ein Schüler, der über ein Semester hinweg verteilt in drei Schulstunden drei Methoden kennengelernt und über mehrere Wochen hinweg ausprobiert hat, wird am Ende mehr Strategien beherrschen, als ein Schüler, der an einer Blockveranstaltung an einem Tag zehn neue Methoden kennengelernt hat.
Prinzip 3: Werten Sie die Erfahrungen der Schüler aus
Wenn Sie eine Lernstrategie vermittelt haben und die Schüler/innen diese im Unterricht, im Lerncoaching oder als Hausaufgabe ausprobiert haben, sollten Sie darauf zurückkommen. Fragen Sie in der folgenden Sitzung oder Schulstunde nach, welche Erfahrungen die Schüler mit der Strategie gemacht haben:
- Was hat geklappt?
- Was war schwierig?
- Wurde die Strategie richtig und sinnvoll angewendet?
In vielen Fällen bemerkt man erst durch dieses Nachfragen, dass Schüler/innen die Strategien falsch anwenden, unsicher sind, wann und wie diese einzusetzen sind oder noch nicht überzeugt sind, mit der neuen Methode besser lernen zu können. Unsicherheiten können in der Folge geklärt und das richtige Vorgehen noch einmal geübt werden - mit oft sehr viel positiveren Rückmeldungen in den folgenden Stunden.
Auf der anderen Seite sind die positiven Kommentare von Schüler/innen, die die neue Strategie erfolgreich angewendet haben, immer eine grosse Motivationsquelle für die anderen, sich ebenfalls weiter mit der Methode zu befassen.
Prinzip 4: Vermitteln Sie nur Strategien, die der Art der Prüfung entsprechen
Viele Schüler/innen sind frustriert, wenn sie sich Mühe geben, mit einer neuen Strategie auf eine Prüfung zu lernen und dann eine schlechtere Noten erhalten als mit ihren alten Strategien. Dies liegt häufg daran, dass Lerncoaches und Lehrpersonen vergessen, die Schüler/innen nach der Art der Prüfung zu fragen bzw. die Lernmethoden darauf abzustimmen - oder den Schülern nicht vermitteln, wann welche Strategie sinnvoll ist.
Während meines Psychologiestudiums besuchte ich im ersten Jahr auch Vorlesungen in Pädagogik, wobei mir eine Vorlesung, in der Lernmethoden vermittelt wurden, besonders in Erinnerung geblieben ist. Der betreffende Dozent besprach insbesondere Textlern-Strategien, die es erleichtern, sich den Inhalt eines Textes zu erschliessen und sich Zusammenhänge zu merken und sprach davon, wie wichtig es ist, beim Lehren darauf zu achten, Sinn zu vermitteln, Zusammenhänge zu diskutieren und die Motivation der Schüler/innen dadurch zu erhöhen, dass sie den Stoff als bedeutsam und in einen Gesamtzusammenhang eingebettet wahrnehmen. Zur Prüfungsvorbereitung wandte ich einige der Methoden an - leider informierte ich mich nicht über die Art der Prüfung. Schliesslich wurden an der Prüfung keine Zusammenhänge gefragt - es wurde lediglich darauf geachtet, ob wir die Folien praktisch Wort für Wort wiedergeben konnten - es wäre demnach stupides Auswendiglernen gefragt gewesen. Die Methoden fand ich trotzdem sinnvoll - lediglich der Dozent war danach in meiner Achtung drastisch gesunken ;-)
Das Beispiel zeigt: Nicht jede Lernstrategie ist für jede Art von Prüfung sinnvoll. Je nachdem, ob Zusammenhänge oder Einzelheiten abgefragt werden, ob die Fragen offen sind oder ob mittels Multiple-Choice geprüft wird, ob die Prüfung mündlich oder schriftlich ist, sind andere Strategien sinnvoll.
Als Lerncoach können Sie Schüler/innen bitten, Ihnen alte Prüfungen des Problemfachs mitzubringen oder sich schildern lassen, wie der jeweilige Lehrer die Prüfung gestaltet und entsprechende Strategien vermitteln.
Als Lehrperson sollten Sie nur Strategien vermitteln, die mit der Art, in der Sie prüfen, übereinstimmen. So machen beispielsweise Zusammenfassungen keinen Sinn, wenn ein Lehrbuch verwendet wird, dessen Text bereits auf das Wesentliche reduziert ist. Die Schüler fassen in diesem Fall 15 Seiten auf 13 Seiten zusammen und verschwenden ihre Zeit. Viel wichtiger wäre in diesem Fall eine Textlernstrategie, die es den Schülern erleichtert, sich den Text zu erarbeiten und sich den Inhalt zu merken.
Prinzip 5: Vermitteln Sie Strategien anhand des aktuellen Schulstoffs
Jugendliche bringen - bevor sie erste Erfolge erlebt haben - oft wenig Motivation für das Thema Lernstrategien auf. An Workshops in Schulen haben wir immer wieder die Erfahrung gemacht:
- Wenn wir Lernstrategien anhand von Übungstexten vermitteln, haben wir mit gravierenden Motivationsdefiziten zu kämpfen.
- Wenn wir die Schüler/innen vor dem Workshop informieren können, dass wir beispielsweise Strategien zum Lernen von Vokabeln vermitteln und sie zu Übungszwecken ihr Englisch- oder Französisch-Vokabelheft mitnehmen sollen, war es deutlich einfacher, für eine gute Lernatmosphäre zu sorgen.
Prinzip 6: Wiederholen Sie Strategien, damit sie nicht vergessen werden
Was wir uns nicht ab und zu wieder in Erinnerung rufen, vergessen wir - das gilt auch für Strategien. Es ist schade, wenn Schüler/innen neue Methoden ausprobieren, damit Erfolge erleben und nach und nach wieder vergessen, diese anzuwenden.
Am Ende eines Lerncoachings oder eines Lerntrainings geben wir Schülern daher regelmässig zwei leere Blätter mit den Aufschriften:
- Wie kann ich erfolgreich lernen?
- Wie stehe ich mir selbst im Weg?
und lassen sie anhand dieser Fragen nochmals darüber nachdenken, welche Erfahrungen sie gemacht, welche Erkenntnisse sie gehabt und welche Strategien sie gelernt haben. Das schriftliche Fixieren macht die Strategien verfügbar. Tauchen bei der Prüfungsvorbereitung Probleme auf, muss der Schüler nur seine Strategie-Blätter hervornehmen und mehr von Blatt 1 (Wie kann ich erfolgreich lernen?) tun und die Dinge von Blatt 2 (Wie stehe ich mir selbst im Weg?) unterlassen.
Eine Berufsschülern, die sich auf die Zwischenprüfung Ende des ersten Jahres vorbereitete, beantwortete die Fragen wie folgt:
So stehe ich mir selbst im Weg:
- Ich sage mir am Morgen: "Du hast ja noch den ganzen Tag Zeit"
- Ich verabrede mich mit Sandra zum Lernen, obwohl ich genau weiss, dass ich mit ihr den ganzen Nachmittag plaudere und wir uns besser in der Freizeit sehen würden
- Ich male mir aus, wie viel Stoff ich noch lernen muss und lähme mich dadurch selbst
- Ich beschäftige mich mit meinem schlechten Gewissen (weil ich noch nichts gemacht habe), anstatt einfach anzufangen
So kann ich erfolgreich lernen:
- Ich denke: Ich fange jetzt an – ich kann ja problemlos nach 10 Minuten wieder aufhören (dann brauche ich nicht so viel Überwindung und bleibe dann doch meistens dran)
- Ich verabrede mich mit Michael, um gemeinsam zu lernen
- Ich lerne in der Bibliothek
- Ich teile mir den Stoff in einzelne überschaubare Häufchen ein und entscheide mich jeweils am Abend, was ich am nächsten Tag lernen will
- Ich erzähle mir vor dem Einschlafen zur Repetition noch einmal selbst, was ich heute gelernt habe
- Ich geniesse meine Freizeit ohne schlechtes Gewissen und erhole mich dadurch stärker
Die Liste (das Beispiel stammt aus meinem Buch "effektiv denken - effektiv lernen") half der Schülerin, die erfolgsversprechenden Strategien beizubehalten und nicht in alte Gewohnheiten zurückzufallen.
Prinzip 7: Holen Sie die Schüler/innen bei ihren Bedürfnissen ab
Manchmal ist der Unterricht zum Thema "Lernstrategien" schon von Beginn weg zum Scheitern verurteilt. Dies ist oft dann der Fall, wenn Lernstrategien als eigenes Fach behandelt werden und sogar eine Prüfung dazu absolviert werden muss. Lehrpersonen können bei dieser Vermittlungsstrategie immer wieder feststellen: Die Schüler/innen verlieren das Interesse und der Transfer auf die anderen Fächer liegt praktisch bei Null!
Unser Vorschlag wäre: Holen Sie die Schüler/innen bei ihren Wünschen ab. Eine Vokabelprüfung steht an? Ein idealer Zeitpunkt für die Frage: "Möchtet ihr wissen, wie ihr euch Vokabeln schneller merken und sie länger im Gedächtnis behalten könnt?" Die Schüler/innen beschweren sich darüber, dass sie nächste Woche vier Prüfungen haben? Vielleicht sagen Sie: "Gut, ich kann meine auf die Woche darauf verschieben. Aber diese Situation wird immer wieder auftauchen. Wollen wir uns anschauen, wie man am besten plant, damit ihr in Stresszeiten nicht total unter Druck kommt?" Schüler/innen wollen sich nicht per se mit Strategien befassen. Sie möchten mehr Freizeit, nicht unter Druck geraten oder ihre Noten verbessern. Wir sollten daher immer einen Bezug zu ihren Bedürfnissen schaffen.
Zu guter Letzt ist es hilfreich, wenn die Schüler/innen mit einem ansprechenden Buch arbeiten können. Seit mehr als 10 Jahren vermitteln wir Schüler/innen Lernstrategien. Dabei haben wir uns immer wieder gefragt: "Wie erreichen wir die Schüler/innen? Wie wecken wir ihr Interesse an neuen Strategien?" Aus dieser Arbeit heraus entstand das Buch "Clever lernen". Es vermittelt Schüler/innen im Alter von ca. 12 bis 16 Jahren Lernstrategien zu spezifischen Fächern, Tipps und Tricks für ein besseres Gedächtnis, Wege aus der Prüfungsangst und gibt Hinweise darauf, wie man sich selbst motivieren kann. Mehr zum Buch erfahren Sie hier.
Spannende Seminare für Lehrpersonen
Möchten Sie mehr zum Thema Lernstrategien erfahren? Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es sinnvoll ist, nur wenige Lernstrategien zu vermitteln und diese dafür so einzuführen und solange zu üben, dass die Schüler/innen tatsächlich Erfolge damit erzielen. Wir geben Ihnen unsere gesammeltes Wissen zu diesem Thema an einem prall gefüllten Weiterbildungstag weiter: Lernstragien - weniger ist mehr
Gleichzeitig möchten wir Sie auf einen unserer Weiterbildungstage aufmerksam machen:
Fabian Grolimund und Stefanie Rietzler leiten die Akademie für Lerncoaching.