Warum wir auch im Computerzeitalter von Hand schreiben sollten
„Wieso müssen wir überhaupt noch von Hand schreiben? Später macht man doch auch alles mit dem Laptop! Das ist doch reine Schikane!“
Gehören Ihre Kinder bzw. Schüler/innen auch zu denen, die am liebsten all ihre Aufgaben mit dem Tablet oder Laptop erledigen würden? Und sind Sie manchmal hin- und hergerissen, wieviel Freiheiten Sie ihnen diesbezüglich geben sollten?
Viele Eltern und Lehrpersonen sind zwiegespalten: Einerseits kommt Tastaturgeschriebenes sauberer und ordentlicher daher. Kein Wunder also, dass viele Schüler/innen die Möglichkeit erhalten, längere Aufsätze oder Projektarbeiten auf dem Laptop oder Computer zu erstellen. Aber was ist, wenn es um das Aneignen von Kenntnissen geht? Sollte man Buchstaben, Vokabeln, Diktate und Co. nicht lieber von Hand schreiben, damit sie am Ende wirklich in den Kopf gehen? Oder sollten wir den vielen Jugendlichen endlich nachgeben, für die die Handschrift ein unnötiges Relikt aus alten Zeiten ist?
Mit dem folgenden Artikel möchten wir ein wenig Licht ins Dunkel bringen, indem wir in die Forschung eintauchen.
Soviel sei vorweggenommen: Eine Vielzahl von Studien konnte in den letzten Jahrzehnten nachweisen, dass wir Informationen am besten aufnehmen, wenn sie:
- neu sind
- für unser Leben relevant sind
- mit Emotionen verknüpft sind
Gleichzeitig prägen wir uns Wissen besser ein, wenn wir es mit mehreren Sinneskanälen verarbeiten, indem wir die Inhalte beispielsweise lesen, sie jemandem erklären, uns Notizen oder Merkbilder erstellen und uns die wichtigsten Punkte anhören. Je aktiver wir uns dabei mit den Inhalten auseinandersetzen, sie mit Vorwissen verknüpfen, Beispiele suchen und darüber nachdenken, desto besser werden sie abgespeichert. Passives, gedankenloses Abschreiben ist demnach wenig wirksam. Vielmehr sollte man wann immer möglich auf das mehrkanalige Lernen zurückgreifen. Doch auch wenn wir das Aufschreiben wichtiger Informationen als Teil-Strategie nutzen, um uns Wichtiges einzuprägen, bleibt trotzdem die Frage offen, welche Form nützlicher ist: Macht es für den Lerneffekt einen Unterschied, ob Inhalte handschriftlich notiert oder auf der Tastatur geschrieben werden?
Werfen wir dazu einen Blick in die Forschung:
Auf welche Art und Weise prägen sich Kleinkinder am besten die ersten Buchstaben ein? Und welche Rolle spielt dabei das Schreiben von Hand? Dieser und weiterer Fragen gingen Marieke Longchamp, Marie-Thérèse Zerbato-Poudou und Jean-Luc Velay (2005) in einer Studie mit Vorschulkindern nach. Über einen Zeitraum von drei Wochen brachten die Forscherinnen den Kindern neue Buchstaben bei. Ein Teil der Kinder übte die neuen Buchstaben handschriftlich, die anderen durch Abtippen auf einem Computer mit vereinfachter Tastatur. Im Anschluss an die Trainingsphase legten alle Kinder insgesamt zwei Tests ab. Die Aufgabe bestand darin, die geübten Buchstaben wiederzuerkennen. Kinder, die handschriftlich geübt hatten, zeigten eine bessere Buchstabenkenntnis. Besonders groß war der Effekt bei den älteren Kindern der Stichprobe.
Zu ähnlichen Ergebnissen kam das Forschungsteam um Markus Kiefer der Universität Ulm. Es führte 2015 eine Studie mit Kindergartenkindern durch. Alle Kinder nahmen an 16 Trainingseinheiten teil, während derer sie 8 Buchstaben des Alphabets kennenlernten. Um sich diese einzuprägen, sollten die Kinder die neuen Buchstaben entweder mit einem Stift auf ein Blatt Papier schreiben oder mit einer eigens dafür entworfenen Computer-Tastatur, die ausschließlich die Lernbuchstaben enthielt, abtippen. Im anschließenden Test diktierten die Forscher/innen den Kindern unter anderem Wörter, die aus den „Lernbuchstaben“ bestanden (z.B. L-U-L-U). In diesem Diktat schnitt die Gruppe besser ab, die die einzelnen Buchstaben handschriftlich geübt hatte.
Ein ähnlicher Effekt ließ sich auch bei jungen Erwachsenen beobachten, denen Forscher/innen der Aix-Marseille Universität (2008) Buchstaben aus dem Bengalischen und aus dem Guarajati Alphabet vorlegten. In drei Trainingssitzungen wurden die Buchstaben auf einem Bildschirm eingeblendet und diese mussten entweder handschriftlich abgeschrieben oder auf einer vorgefertigten Tastatur abgetippt werden. Beim Wiedererkennungstest direkt im Anschluss an die Übungen und mehrere Wochen später zeigte sich, dass das handschriftliche Üben zu besseren Leistungen geführt hatte als das Abtippen auf dem Computer.
Doch gilt dies nur für Buchstaben oder auch für ganze Wörter bzw. Vokabeln? Und wie steht es um den Lerneffekt beim Abtippen des Stoffs auf dem Touchpad?
Sehen wir uns dazu die Befunde von Anne Mangen und Kollegen (2015) an. Die Wissenschaftler/innen gaben erwachsenen Frauen die Aufgabe, Wörterlisten niederzuschreiben, die ihnen laut über Kopfhörer diktiert wurden. Jede Teilnehmerin schrieb eine Liste von Hand, eine auf einer Laptop-Tastatur und eine auf der Ipad Touch-Tastatur nieder. Die Reihenfolge der Gerätebenutzung wurde per Zufall bestimmt.
Anschließend wurde erhoben, welche Wörter die Testpersonen noch aus dem Gedächtnis frei reproduzieren konnten. Hier erinnerten sich die Versuchspersonen an deutlich mehr Wörter, die sie von Hand geschrieben hatten im Vergleich zu denen, die sie mit der Tastatur (Laptop oder Ipad) abgetippt hatten. Ist dies vielleicht auch eine Gewöhnungssache? Wohl kaum: Denn Testpersonen, die mehr Erfahrung mit dem Tastaturschreiben hatten und vergleichsweise schnell tippten, schnitten nicht besser ab als Teilnehmer/innen mit weniger Erfahrung oder einer langsameren Tippgeschwindigkeit. Dies spricht dafür, dass der Vorteil des handschriftlichen Übens nicht nur mangelnde Gewöhnung an das Tastaturschreiben widerspiegelte.
In einem zweiten Schritt lasen die Forscher/innen den Testpersonen verschiedene Wörter vor und wollten wissen: Welche von diesen Wörtern hatten sich in der Übungsliste befunden und welche waren frei dazu erfunden? Für das Testergebnis in dieser Wiedererkennungsaufgabe spielte es keine Rolle, in welcher Form die Wörter geübt worden waren.
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass das handschriftliche Üben von Buchstaben und Wörtern tendenziell zu besseren Ergebnissen führt als das Abtippen auf der Tastatur.
Wie steht es jedoch um das Mitschreiben von längeren Texten und ausführlicheren Inhalten? Ist das Laptopschreiben wenigstens hier der Handschrift überlegen?
Gemäß einer Studie von Pam Mueller und Daniel Oppenheimer (2014) mit über 300 Studierenden lautet die Antwort: Eher nein!
Wer während der Vorlesung Notizen mit dem Laptop machte, konnte sich eine Woche später tendenziell schlechter an Fakten und Konzepte aus der jeweiligen Lektion erinnern. Studierenden, die handschriftlich mitgeschrieben hatten, gelang dies insgesamt besser.
Offenbar neigte die „Laptop-Gruppe“ dazu, die Vorlesung fast wörtlich mitzuschreiben, wodurch sie den Inhalt nur oberflächlich verarbeitete. Die „Handschrift-Gruppe“ schien die Informationen hingegen tiefer zu verarbeiten. Wahrscheinlich waren diese Studierenden dazu gezwungen, das Gehörte möglichst prägnant zu Papier zu bringen, weil sie das eher langsame Schreibtempo von Hand einschränkte.
Ein Großteil der Wissenschaftler geht davon aus, dass das handschriftliche Schreiben das Wiederholen und Vertiefen der Inhalte begünstigt. Es spricht also einiges dafür Vokabeln, Diktate & Co. (auch) handschriftlich zu üben und für Unterrichtsnotizen nicht ausschließlich auf den Laptop auszuweichen. Das Tastaturschreiben generell zu verteufeln, würde jedoch über das Ziel hinausschießen. Es lohnt sich ein "Sowohl als Auch".
Eine Ausnahme sollte unserer Meinung nach bei Kindern gemacht werden, die feinmotorische Probleme aufweisen. Wenn wir beispielsweise mit ADHS-betroffenen Schüler/innen arbeiten, fällt uns häufig auf, welch großer Kraftakt eine leserliche Handschrift für sie bedeutet. Das Schriftbild ist und bleibt trotz enormer Anstrengung krakelig. Werden sie dazu gezwungen, Diktate oder Vokabeln hauptsächlich handschriftlich zu üben, prägt sich das krakelige Schriftbild nur schwer ein. Hier ist es oftmals hilfreicher, die Vokabeln mündlich zu üben und dabei das visuelle Abspeichern des Schriftbilds bewusst zu trainieren (mehr dazu erfahren Sie in unserem Elternratgeber „Erfolgreich lernen mit ADHS“). Beim Kindern mit grafomotorischen Schwierigkeiten bindet das Schreiben von längeren Texten von Hand zudem soviel Aufmerksamkeit, dass ihnen kaum Kapazität übrigbleibt, um über den Inhalt des Textes nachzudenken. Aus diesem kann es in diesen Fällen sehr entlastend sein, längere Texte wie Aufsätze oder Projektarbeiten auf dem Computer verfassen zu dürfen - damit die Auseinandersetzung mit dem Inhalt besser gelingt.
Aktuell: Unsere Seminare und Weiterbildungen
Für Eltern:
- Kinder mit Rechenschwäche erfolgreich fördern
- Kinder mit Lese-/Rechtschreibschwäche erfolgreich begleiten
- Erfolgreich lernen mit ADHS/ADS
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Für Jugendliche:
Für Lehrpersonen:
- Lernstrategien: Weniger ist mehr!
- So lernt unser Gehirn: Neurobiologie des Lernens
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Das Autorenteam
Stefanie Rietzler und Fabian Grolimund sind Psychologen und leiten gemeinsam die Akademie für Lerncoaching in Zürich. Beide verbindet die große Leidenschaft für das Schreiben von Büchern.