Konzentration und Aufmerksamkeit fördern

Wie sich ADHS im Alltag zeigt

Fabian Grolimund und Stefanie Rietzler

Zwischen Chaos, Kreativität und kleinen Kämpfen

Manche Kinder mit ADHS springen sofort ins Auge: Sie zappeln, platzen mit Antworten heraus, reden ununterbrochen. Andere hingegen wirken leise, verträumt, fast unbeteiligt – und fallen gerade deshalb kaum auf (Mehr dazu im Artikel «Was ist ADHS?»). Was sie alle verbindet: Ihr Alltag ist voller kleiner Stolpersteine. Und oft merkt man erst beim genaueren Hinsehen, wie sehr sie sich anstrengen und darunter leiden, dass sie nicht gesehen werden, viele Erwartungen nicht erfüllen können und oft kritisiert werden.

Dabei zeigen sich die Symptome der ADHS in verschiedenen Lebensbereichen, die wir uns nun exemplarisch etwas näher ansehen wollen.

Die Morgensituation: "Warum dauert das immer so lange?"

Viele Eltern erleben den Morgen mit einem Kind mit ADHS als tägliches Drama:

  • Der Wecker klingelt – aber das Aufstehen zieht sich. Plötzlich sitzt das Kind verträumt auf dem Bett und guckt ins Leere.
  • Beim Anziehen wird getrödelt, weil der Pulli zwickt, ein Lego entdeckt wird oder die Gedanken plötzlich ganz woanders sind.
  • Beim Frühstück wird geträumt, erzählt, mit dem Essen herumgespielt und wieder aufgestanden, während die Zeit verrinnt.
  • Hausaufgaben werden vergessen, Sachen immer wieder verlegt, an das Packen des Turnbeutels erst gedacht, wenn der Schulbus schon fast losfährt.

Als Elternteil hat man das Gefühl, das Kind ständig strukturieren und antreiben zu müssen, damit es nicht zu spät kommt. Dabei machen viele Eltern die frustrierende Erfahrung: Je mehr ich mein Kind antreibe und zur Eile anhalte, desto langsamer wird es. 

Einige Tipps und Tricks, die den Morgen etwas leichter werden lassen, findest du im folgenden Video:

Die Hausaufgaben: Ein ewiger Kampf

Besonders deutlich zeigen sich die Schwierigkeiten von Kindern mit ADHS bei den Hausaufgaben. In unserem Seminar «Erfolgreich lernen mit ADHS und ADS» berichten die Eltern von sehr ähnlichen Schwierigkeiten:

  • Das Kind beginnt nicht von sich aus, sondern muss ständig daran erinnert werden, mit den Hausaufgaben zu beginnen.
  • Während der Hausaufgaben trödelt das Kind vor sich hin oder lässt sich immer wieder ablenken, sodass Aufgaben, die in 30 Minuten erledigt werden können, Stunden in Anspruch nehmen können.
  • Manche Kinder, vor allem die vorwiegend hyperaktiv-impulsiven, sudeln manchmal auch alles in 10 Minuten hin – in kaum lesbarer Schrift und mit der Haltung: Gemacht ist gemacht – egal, ob es richtig ist oder nicht. 
  • Es wird diskutiert und gestritten, bis die Nerven bei Eltern und Kind blank liegen.
  • Bei Schwierigkeiten explodiert das Kind und wirft mit einem «Ich kann das eh nicht! Ich bin sowieso zu blöd!» das Handtuch.
  • Das Kind behauptet vehement, keine Hausaufgaben oder Prüfungen zu haben – und merkt dann vor der Bettgehzeit tränenüberströmt, was es noch alles hätte erledigen müssen.
  • Die Selbsteinschätzung gelingt nicht: Entweder sind die Aufgaben «babyleicht» oder «viel zu schwer».
  • Die Hausaufgaben werden als sehr langweilig empfunden, das Kind ermüdet bereits nach wenigen Minuten und versucht dann ständig auszuweichen.
  • Sobald man als Mutter oder Vater das Kind alleine lässt, arbeitet es nicht mehr – oft sieht man sich gezwungen, ständig neben dem Kind zu sitzen und ihm Anweisungen zu geben.

Als Elternteil fühlt man sich oft gezwungen, das Kind engmaschig zu begleiten und zu kontrollieren. Gleichzeitig haben Kinder mit ADHS oft ein hohes Autonomiebedürfnis und reagieren auf diese Art der Führung mit Widerstand. Oft entwickelt sich daraus ein Teufelskreis aus Sorgen, Druck, Verweigerung und Misstrauen.

Wie du Konflikte bei den Hausaufgaben reduzieren kannst, erfährst du im folgenden Video:

 

Da das Thema Lernen mit ADHS so umfangreich und entscheidend für die weitere Entwicklung ist, haben wir ihm ein eigenes Buch gewidmet – prall gefüllt mit vielen konkreten Tipps und Tricks für eine entspanntere Schulzeit.

Das Buch gibt es in jeder Buchhandlung. Mit einem Klick auf das Cover gelangst du direkt zur Bestellmöglichkeit.

In der Schule: "Er kann's doch - wenn er will!"

Viele Lehrkräfte erleben ein Wechselbad der Gefühle: Mal ist das Kind mit ADHS klug, charmant, witzig, kreativ – dann wieder aufbrausend, chaotisch, unkonzentriert, störend. Die Leistungen schwanken stark, die Handschrift wechselt gefühlt täglich, und das Matheheft ist eine Mischung aus Gekritzel, Lücken und kleinen Geistesblitzen.

Die Schwierigkeiten von Kindern mit ADHS zeigen sich gerade in der Schule. Es gelingt ihnen oft nicht:

  • sich längere Zeit zu konzentrieren
  • zuzuhören, wenn die Lehrkraft etwas erklärt
  • die Hausaufgaben und Prüfungen einzutragen und das nötige Material mitzunehmen
  • sich an die Regeln zu halten
  • mit emotionalen Reaktionen (Wut, Frust, Tränen) bei Überforderung umzugehen
  • still zu sitzen

Im folgenden Video sind die typischen Schulschwierigkeiten detailliert beschrieben:

Ein besonderes Problem stellt für viele Kinder mit ADHS das heute vielfach geforderte selbstorganisierte Lernen bzw. die Arbeit mit dem Wochenplan dar. Es gelingt ihnen kaum, ihre Aufgaben selbst einzuteilen, die Zeit richtig einzuschätzen, zu starten, dranzubleiben, sich zu motivieren, die eigenen Fortschritte zu reflektieren und bei dieser Arbeitsform auf Kurs zu bleiben.

Oft geben Lehrkräfte nicht geschaffte Aufgaben des Wochenplans als Hausaufgabe mit nach Hause oder erwarten, dass das Kind diese in der Pause aufarbeitet. Das ist hochproblematisch, weil genau diese Kinder die Pause zur Regeneration dringend bräuchten und zu Hause auch nicht selbstständig arbeiten können. Rasch sehen sich die Eltern in der Rolle einer Hilfslehrkraft, die mit dem Kind Lücken aufarbeiten muss, während das Kind sich sträubt und das alles unfair findet. Konflikte sind damit vorprogrammiert.

Wir sind nicht gegen selbstorganisiertes und selbstbestimmtes Lernen. Aber: Kinder müssen in ihrem Tempo dazu befähigt werden und die Lehrkraft darf gerade bei Kindern mit ADHS nicht auf eine engmaschige Begleitung verzichten. Das selbstorganisierte Lernen soll die Kinder in kleinen Schritten und mit Anleitung dazu befähigen, mit der Zeit selbstständig zu lernen – es kann nicht vorausgesetzt werden, dass Kinder diese Fähigkeit mitbringen! Einige Anregungen dazu gibt das folgende Video:

In sozialen Situationen: "Warum eckt sie immer an?"

Viele Kinder mit ADHS wünschen sich sehnlich Freundschaften – und stehen sich dabei oft selbst im Weg. Sie unterbrechen andere, drängen sich in Spiele hinein, erzählen Geschichten zu laut oder zu lang, interpretieren Witze falsch oder reagieren stark auf Zurückweisung.

Eltern von Kindern mit ADHS berichten uns immer wieder von den folgenden Schwierigkeiten im sozialen Miteinander, die je nach Kind und Erscheinungsbild (eher unaufmerksam oder hyperaktiv impulsiv) unterschiedlich ausfallen:

  • Intensive, konfliktreiche oder wechselhafte Freundschaften
  • Missverständnisse oder häufiger Streit
  • Dominantes Verhalten (beispielsweise, indem das Kind ständig bestimmen will, was und wie gespielt wird)
  • geringe Frustrationstoleranz (z.B. bei Spielen oder im Sport nicht verlieren können)
  • starkes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit
  • Schwierigkeiten, andere Kinder zu Wort kommen zu lassen, Fragen zu stellen und zuzuhören
  • Starkes Ermüden in Gruppen, überreizt und überdreht sein, Rückzug

ADHS beeinträchtigt oft die Fähigkeit, soziale Signale zu lesen und sich flexibel darauf einzustellen. Viele betroffene Kinder haben ein gutes Herz, sind hilfsbereit und mitfühlend. Gleichzeitig stehen ihnen ihre Impulsivität oder Unaufmerksamkeit im Weg.

Gerade Kinder, die hyperaktiv und impulsiv sind, wirken auf andere Kinder oft «anstrengend». Sie erzählen oft viel und laut, ohne dem anderen Kind Fragen zu stellen und ihm zuzuhören. Manche von ihnen können sehr bestimmend wirken, möchten stets entscheiden, was und wie gespielt wird und werden rasch wütend, wenn sich andere Kinder nicht an ihre «Regeln» halten. Viele Eltern machen gute Erfahrungen, wenn sie die Verabredungen stärker strukturieren und kürzer halten. Wir werden darauf in einem gesonderten Artikel eingehen.

Verträumte Kinder werden hingegen oft rasch müde von zu viel sozialem Kontakt. Sie gleiten in Tagträume ab und verpassen dadurch soziale Signale. Gruppen überfordern sie oft, sind ihnen schnell zu laut, zu wild, zu viel. Manchmal zeigt sich ihre Vergesslichkeit auch in Freundschaften, was andere Kinder als verletzend empfinden. Oft haben sie aber eine enge Freundschaft zu ein, zwei anderen Kindern.

Innenleben: Überforderung und Leidensdruck

Nicht alle Auswirkungen von ADHS sind von außen sichtbar. Viele Kinder wirken nach außen fröhlich oder energiegeladen – aber innerlich sind sie oft erschöpft, überfordert oder entmutigt.

Viele Kinder und Jugendliche mit ADHS berichten von:

  • hohem innerer Druck („Warum schaff ich das nicht wie die anderen?“)
  • Versagensängsten und Selbstzweifeln
  • ständiger Selbstkritik
  • emotionalen Achterbahnfahrten
  • dem Gefühl, falsch oder „nicht gut genug“ zu sein

Das Gefühl der Überforderung kann sich unterschiedlich auswirken. Manche Kinder resignieren, andere wehren sich gegen die Anforderungen, ab und zu findet man aber auch Kinder, die verbissen versuchen, alles richtig zu machen und dabei perfektionistische Ansprüche an sich entwickeln.

Stärken und Sonnenseiten

Die Wissenschaft kreist leider fast ausschliesslich um die Defizite und Folgeprobleme von ADHS.

Dabei zeigen verträumte, hibbelige und impulsive Kinder auch viele Stärken und Eigenschaften, die sie zu besonderen und wertvollen Mitgliedern unserer Gesellschaft machen.

Auf die Stärken werden wir in einem gesonderten Artikel eingehen. Vielleicht hast du aber Lust, bereits jetzt unseren Stärkefragebogen aus unserem Buch «Erfolgreich lernen mit ADHS und ADS» auszufüllen?
Lass dich davon überraschen, wie viele Qualitäten in deinem Kind verborgen liegen.

Was Kindern mit ADHS guttut

  • Menschen, die ihnen zeigen, dass sie willkommen sind und sie so annehmen, wie sie sind.
  • Verständnis und Würdigung für das, was man nicht sieht.
  • Geduld, auch wenn die Fortschritte klein wirken.
  • Halt und Orientierung
  • Positives Feedback statt Kritik
  • Alltagstaugliche Strategien, die ihnen helfen, mit Schwierigkeiten umzugehen.
  • Erwachsene, die auch ihre Stärken sehen und fördern.
  • Zeit und Raum, um einfach sich selbst sein zu dürfen.

Konkrete Hilfestellungen dazu findest du auf unserem YouTube-Kanal, in unseren Büchern und auf unserer Webseite www.mit-kindern-lernen.ch

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Unsere Seminare zum Thema Lernen mit ADS und ADHS

Für Eltern:
Erfolgreich lernen mit ADS und ADHS

Für Fachpersonen:
Kinder mit ADS / ADHS erfolgreich unterrichten

Stefanie Rietzler Fabian Grolimund Konzentration

Fabian Grolimund und Stefanie Rietzler sind Psychologen und leiten die Akademie für Lerncoaching. Das Experten-Team führt Seminare für ElternWeiterbildungen für Fachpersonen sowie Vorträge an Schulen rund um das Thema Lernen durch. Die beiden verbindet eine große Begeisterung und Leidenschaft für das Schreiben von Büchern.

Akademie für Lerncoaching
Albulastrasse 57
8048 Zürich

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