Sinnvoller Umgang mit Hausaufgaben

Sollen Kinder die Hausaufgaben alleine erledigen? Die meisten Lehrpersonen würden diese Frage wohl bejahen: Es sollte ohne Hilfe von Papa und Mama gehen. Die Realität sieht anders aus. Laut Studien helfen gegen 90% der Eltern ihren Grundschulkindern bei den Hausaufgaben. Damit sich das ändert, braucht es Eltern, die die Selbständigkeit ihrer Kinder fördern - und Lehrpersonen, die Hausaufgaben mit Bedacht geben. In diesem Artikel möchte ich auf einige Punkte hinweisen, die Sie als Lehrperson beachten sollten, wenn es Ihnen ein Anliegen ist, dass Ihre Schüler/innen die Hausaufgaben alleine erledigen. Die Eltern unter Ihnen erfahren hier, wie sie die Selbständigkeit Ihres Kindes fördern können.

Können meine Schüler/innen diese Hausaufgabe selbständig erledigen?

Als ich bei einem Seminar mit Lehrpersonen an einer Pädagogischen Hochschule darauf zu sprechen kam, wie schwierig die Hausaufgaben-Situation für viele Eltern ist, meinte eine Lehrerin: "Die Eltern haben sich auch nicht einzumischen. Die Kinder sollen das alleine machen." Eine Kollegin pflichtete ihr bei. Eine weitere Kollegin sah die beiden an, schüttelte den Kopf und erwiderte: "Wartet nur, bis eure Kinder in der Schule sind. Ihr kommt auch noch auf die Welt." 

In der nachfolgenden Diskussion sprachen viele Lehrpersonen darüber, wie sehr sie selbst unter den täglichen Konflikten mit den Hausaufgaben leiden. Und wie sie in Gewissenskonflikte geraten, weil sie die Eltern ihrer Schüler/innen dazu ermahnen, die Kinder die Hausaufgaben selbständig erledigen zu lassen - und selbst Stunden damit verbringen, ihrem Kind bei der Vorbereitung eines Vortrags zu helfen oder nicht Verstandenes zu Hause nochmals zu erklären. 

Es wird deutlich: Es ist gar nicht so einfach, sich rauszuhalten. Und es wird ebenfalls klar: Viele Lehrpersonen überschätzen die Fähigkeit der Kinder. 

Das rührt auch daher, dass viele Schüler/innen in der Schule besser arbeiten können als zu Hause. Sie können sich besser konzentrieren und bei Unsicherheiten Klassenkameraden oder die Lehrperson fragen. Zu Hause fällt es ihnen schwer, sich von interessanteren Tätigkeiten abzuschirmen, sich zu konzentrieren und zu motivieren. Diese Erfahrung machen auch viele Erwachsene, die sagen: "Zu Hause kann ich einfach nicht arbeiten."

Oft orientieren sich Lehrpersonen aber auch zu sehr am Durchschnitt der Klasse und vergeben Hausaufgaben, die viele Kinder inhaltlich überfordern.

Wenn Sie Hausaufgaben geben, können Sie sich fragen: "Kann das schwächste Kind in meiner Klasse diese Aufgabe alleine lösen?" Diese Frage bewahrt Sie davor, zu schwierige Hausaufgaben mitzugeben.

Bestimmte Typen von Arbeiten sind zudem geradezu dazu prädestiniert, die Eltern auf den Plan zu rufen. Dazu gehört die Vorbereitung von Vorträgen, das Schreiben von Aufsätzen und weitere "kreative" Aufgaben.

Ein Vater und Lehrer meinte zu mir: "Ich würde meinen Sohn den Vortrag gerne selbst vorbereiten lassen. Aber er verzweifelt daran. Und ich weiss auch: Er wird der Einzige sein, der es alleine gemacht hat - und entsprechend schlecht abschneiden. Ich fühle mich dazu gezwungen, ihm zu helfen." 

Wissen meine Schüler/innen, was sie aufhaben?

In vielen Familien beginnt das Hausaufgabendrama bereits mit der Frage: "Was habt ihr auf?"

Gerade Kinder, die noch nicht gut Deutsch können sowie Kinder mit Aufmerkamkeitsproblemen bekommen oft nicht mit, was sie als Hausaufgabe erledigen müssen. Zu Hause sind die Einträge unvollständig. Das Kind behauptet, dass es keine Hausaufgaben hat, die Eltern glauben ihm dies nicht. Nach Telefonaten mit Klassenkameraden oder anderen Eltern sind Eltern und Kind bereits gestresst und verärgert bevor der erste Buchstabe geschrieben oder die erste Rechenaufgabe gelöst ist.

Im Gespräch mit Lehrpersonen an Fortbildungen konnte ich wiederholt feststellen, dass es auch von der Lehrperson abhängt, ob Kinder die Hausaufgaben eingetragen haben oder diese ständig vergessen. Auf die Frage, wie sie es schaffen, dass ihre Schüler/innen die Hausaufgaben vollständig eintragen und eine gute Übersicht haben, habe ich immer wieder die gleichen Antworten erhalten. Diese Lehrer/innen:

  1. geben die Hausaufgaben immer zur gleichen Zeit und achten darauf, dass die Schüler/innen genügend Zeit haben, diese abzuschreiben. Sie rufen nicht ins Klingeln hinein: "Macht das auf morgen noch fertig!"
  2. läuten die Vergabe der Hausaufgaben mit einem klaren Signal ein. Sie nutzen dazu einen Gong oder eine Klingel oder sagen etwas wie: "Achtung! Jetzt kommen die Hausaufgaben!"
  3. haben für die Hausaufgaben einen bestimmten Platz an der Tafel oder auf einem Whiteboard reserviert und schreiben diese dort auf. So sieht auch die Stellenpartnerin jeweils, was die Kinder von der Kollegin bereits an Hausaufgaben erhalten haben. Diese Lehrer/innen sprechen sich zudem mit Stellenpartner/innen ab.
  4. gehen - während die Kinder die Hausaufgaben in ihr Hausaufgabenheft übertragen - in der Klasse herum und unterstützen diejenigen Kinder, denen das konzentrierte Eintragen der Hausaufgaben schwer fällt.
Diese Lehrer/innen möchten, dass die Kinder gute, vollständige Einträge im Hausaufgabenheft haben und sorgen aktiv dafür. Bei Lehrpersonen, die sich darüber beklagen, dass die Kinder die Hausaufgaben oft vergessen, sehe ich ein anderes Muster. Sie haben kein festes Ritual zur Vergabe der Hausaufgaben. Zudem orientieren sie sich oft nicht an den Kindern, die sie als Schüler/innen vor sich haben, sondern an denen, die sie gerne hätten ("Ich erwarte von Kindern in diesem Alter...", "Ein Kind in der dritten Klasse sollte...") und reagieren mit Enttäuschung und Bestrafung, wenn die Kinder diese Erwartungen nicht erfüllen. 
 
Eine Lehrerin meinte dazu: "Ich war genau so. Ich kam von der Uni und hatte ganz klare Erwartungen an die Kinder. Jetzt habe ich selbst eine Tochter mit ADHS, die ständig vergisst, die Hausaufgaben einzutragen und die Bücher mitzubringen. Es ist lästig - aber es hat mir als Lehrerin geholfen, überzogene Erwartungen zu korrigieren und mehr darauf zu achten, was die einzelnen Kinder brauchen."
 
Ich würde Sie gerne ermutigen, die Kinder im Vorfeld mehr zu unterstützen, anstatt sie bei nicht gemachten Hausaufgaben zu bestrafen. Sie und Ihre Schüler/innen werden davon profitieren.

Können meine Schüler/innen planen?

An immer mehr Schulen erhalten die Kinder einen Wochenplan. Das heisst: Sie erhalten eine Hausaufgabenliste für die gesamte Woche und sollen selbst einen Zeitplan erstellen.
 
Es ist tatsächlich sinnvoll, wenn Kinder früh lernen, sich die Zeit einzuteilen und Aufgaben über mehrere Tage zu verteilen. Es ist aber auch furchtbar anspruchsvoll.
 
Es stellt hohe Anforderungen an die Selbststeuerung. Selbst viele Erwachsene verlieren regelmässig den Kampf zwischen Lust und Vernunft - und schieben unliebsame Tätigkeiten bis zum letzten Moment auf. Für Kinder, die stärker im Moment leben, ist es noch schwieriger, langfristige Konsequenzen mitzubedenken. Vor die Wahl gestellt, am Montag zu spielen oder Hausaufgaben zu machen, damit sie dann am Donnerstag weniger zu tun haben, wählen viele Kinder das Spiel. Gerade in Familien mit impulsiven Kindern führt dies dazu, dass die Eltern sich oft gezwungen sehen, massiv Druck aufzusetzen, damit die Kinder sich frühzeitig vorbereiten. Dies wiederum vergiftet die Lernsituation.
 
Zum anderen ist das Planen eine Kompetenz, die Kinder nicht mitbringen und selten nur durch Versuch und Irrtum lernen. Kinder müssen sich beim Planen zumindest die folgenden Fragen stellen:
  1. was muss ich alles erledigen? 
  2. wie viel Zeit benötige ich für die einzelnen Aufgaben?
  3. welche Materialien brauche ich dafür?
  4. wann habe ich Zeit?
  5. gibt es Aufgaben die wichtiger sind oder früher abgegeben werden müssen?
Selbst wenn es dem Kind gelingt, mit diesen Fragen die Hausaufgaben über die Woche zu verteilen, muss es nun am Donnerstag in der letzten Stunde daran denken, dass es sich am Montag für heute Nachmittag Mathe eingeplant hat und deshalb jetzt das Buch, das Heft und das Geodreieck einpacken muss.
 
Vollends unmöglich wird das Planen, wenn Lehrpersonen neben dem Wochenplan noch eine "rollende Planung" haben und plötzlich am Mittwoch noch eine zusätzliche Aufgabe geben oder kurzfristig eine Prüfung ansetzen - zum Beispiel, weil sie selbst schlecht geplant haben und noch eine Note benötigen.
 
Wenn Sie mit Wochenplänen arbeiten:
  1. sollten Sie diese langsam einführen, indem Sie die Schüler/innen zuerst für zwei, dann für drei Tage planen lassen anstatt gleich für eine ganze Woche.
  2. wäre es wichtig, dass Sie mit den Kindern über zwei, drei Monate hinweg jede Woche das Planen üben, bis Sie sicher sind, dass die Kinder diese Kompetenz erworben haben. Es reicht nicht aus, wenn Sie den Schüler/innen erklären, wie man plant - diese Kompetenz muss trainiert werden.
  3. ist es für Eltern von Kindern, die gerne aufschieben, ein Segen, wenn diese Kinder einen Teil der Hausaufgaben in der Hälfte der Woche abgeben müssen.
  4. sollten die Kinder wissen, wann sie während des Unterrichts Zeit haben, am Wochenplan zu arbeiten. Diese Wochenplanstunden sollten fix sein.
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Falls Sie eine Klasse übernehmen, ist es auch hier wichtig, dass Sie sich fragen: "Können meine Schüler/innen planen?" und fehlende Kompetenzen vermitteln anstatt zu sagen: "Das hätten meine Schüler/innen bereits auf Klassenstufe xy lernen sollen."
 

Formulieren ich klare Erwartungen an die Eltern?

Es ist allgemeiner Elternabend in einer dritten Klasse. Die Lehrerin stellt sich vor und macht auch deutlich, was sie von den Eltern bezüglich Hausaufgaben erwartet: "Die Kinder sollen die Hausaufgaben alleine machen. Es ist wichtig, dass ich sehen kann, wo die Kinder stehen. Deshalb möchte ich Sie bitten, die Hausaufgaben nicht zu korrigieren."
 
Viele Eltern halten sich an die Abmachung und nehmen sich so gut wie möglich bei den Hausaufgaben zurück.
 
Zwei Monate später klingt es im Einzelgespräch mit Benjamins Eltern aber so: "Benjamin macht die Hausaufgaben des Öfteren nicht. Er hat schon einen Vermerk. Wenn das so weitergeht, werde ich einen Eintrag im Zeugnis machen müssen. Es wäre wichtig, dass er die Hausaufgaben vollständig erledigt. Vielleicht müssten Sie da mehr hinschauen. Auch das Schriftbild ist unleserlich. Wenn Sie ihn da...."
 
Was sollen die Eltern nun tun? Sich einschalten oder raushalten? Spätestens beim Satz "einen Eintrag im Zeugnis machen müssen..." sehen Benjamins Eltern rot und nehmen die Sache in die Hand.
 
Oft ist es Lehrpersonen nicht bewusst, wie unklar ihre Erwartungen an die Eltern sind. Sie fordern die Eltern dazu auf, die Kinder die Hausaufgaben selbständig machen zu lassen, begegnen ihnen aber im Elterngespräch mit so vielen "sollte", "müsste", "wenn er/sie nicht..., dann...", dass die Eltern keine andere Wahl haben, als sich einzubringen.
 
Hier kann es hilfreich sein, wenn Sie für sich definieren, welche Rolle die Eltern einnehmen sollen. Sie können dazu ein Merkblatt gestalten und dieses am Elternabend austeilen und mit den Eltern diskutieren. Wichtig wäre, dass Sie im folgenden Ihre Rückmeldungen so geben, dass die Eltern diese Rolle auch einnehmen können.
 
Möchte die Lehrperson, dass die Eltern sich ganz raushalten, könnte sie beim Elterngespräch sagen: "Benjamin hat mehrere Male die Hausaufgaben nicht gemacht. Ich arbeite aber mit ihm an diesem Thema und werde dazu Folgendes tun.... - von Ihnen wollte ich wissen, ob er zu Hause einen Ort hat, wo er ungestört arbeiten kann."
 
Die Lehrerin könnte aber auch eine etwas aktivere Rolle der Eltern einfordern und diese darum bitten, für gute Ramenbedingungen zu sorgen und ihr Rückmeldungen zu geben, wenn die Kinder Mühe mit den Hausaufgaben haben oder diese zu viel Zeit in Anspruch nehmen. 
 
Eine gute Frage lautet hier: "Können auch berufstätige Eltern oder solche, die kaum Deutsch sprechen, meine Anforderungen erfüllen?"
 
Hausaufgaben tragen ohnehin zur Chancenungleichheit bei. Werden Hausaufgaben gegeben, die die Unterstützung der Eltern praktisch voraussetzen, wird diese Problematik weiter verschärft. 

Sabotiere ich unbewusst die Selbständigkeit meiner Schüler/innen?

Bei Vorträgen ermutige ich die Eltern meist dazu, die Selbständigkeit ihrer Kinder zu fördern - und dazu auch in Kauf zu nehmen, dass die Hausaufgaben ab und zu nicht vollständig oder fehlerfrei sind.
 
Normalerweise können die Eltern dies gut annehmen. Problematisch wird es, wenn Eltern sagen:
  • "Der Lehrer meiner Tochter gibt immer einen Sticker, wenn die Hausaufgaben fehlerfrei sind - und sie will unbedingt diesen blöden Sticker."
  • "Die Lehrerin meiner Tochter gibt jeweils am Ende der Woche eine Note für die Qualität und Vollständigkeit der Hausaufgaben. Deshalb fällt es mir so schwer, diese nicht zu korrigieren."

Die wichtigsten Punkte im Überblick

Wenn Sie möchten, dass es möglichst vielen Ihrer Schüler/innen gelingt, die Hausaufgaben eigenverantwortlich zu erledigen, können Sie:
  1. Die Vergabe der Hausaufgaben durch ein klares Signal ankündigen und diese jeweils am gleichen Ort an der Tafel festhalten.
  2. Schüler/innen, die oft Mühe mit dem Eintragen der Hausaufgaben haben, während der Zeit des Abschreibens unterstützen.
  3. Nur Hausaufgaben geben, die auch das schulisch schwächste Kind der Klasse alleine erledigen kann. Falls Sie befürchten, dass sich die stärkeren Kinder dann langweilen, finden Sie hier eine Möglichkeit, die Hausaufgaben ohne zu viel Aufwand stärker zu individualisieren.
  4. Mit den Kindern das Planen ausreichend üben, bevor Sie Wochenplänen einführen.
  5. Für sich klären, welche Rolle die Eltern einnehmen sollen und darauf achten, dass Ihre Rückmeldungen und Erwartungen damit in Einklang stehen.
  6. Die Eltern nicht durch das Belohnen von möglichst fehlerfreien Hausaufgaben dazu zwingen, die Hausaufgaben zu korrigieren.

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