Lernmotivation: Der richtige Lernort

Eltern haben oft fixe Vorstellungen davon, wo ihr Kind am besten lernen kann. Der IKEA-Pult ist gekauft und das Zimmer so eingerichtet, dass der Erledigung der Hausaufgaben scheinbar nichts im Wege stehen sollte. Das Kind soll sich nun bitte ins Zimmer begeben und dort am vorgesehenen Platz auf dem ergomisch optimierten Stuhl seine Hausaufgaben verrichten. Nur: Da haben die Eltern ihre Rechnung meist ohne das Kind gemacht...

Der ideale Lernort: Eine sehr persönliche Angelegenheit!

Während ich diesen Artikel verfasse, sitze ich an meinem Lieblings-Arbeitsplatz: Im Café Tanneur in der Altstadt in Fribourg. Ich bin der einzige Kunde. Draussen gehen die Leute vorbei, hinter mir höre ich den Kellner, der die Maschine einräumt und auf der anderen Seite des Tischs schläft mein kleiner Sohn im Kinderwagen. Aus dem Lautsprecher dringt leise Popmusik.

Lernmotivation Lernort

Je ruhiger die Umgebung desto konzentrierter das Kind?

Ich gehöre zu den Menschen, die nicht in einem Büro arbeiten können. Ich fühle mich rasch eingesperrt und wenn es zu ruhig ist, kann ich mich nicht konzentrieren und werde unruhig. Als Kind war ich sehr verträumt und auch heute zeige ich viele typische Anzeichen von jemandem mit einem Aufmerksamkeits-Defizit. 

Umso erstaunter war ich, als ich neuere Studien las, die sich mit dem optimalen Lernort für Kinder mit ADHS auseinandersetzten. Diese sprechen sich nicht etwa dafür aus, dass man betroffenen Kinder einen möglichst ruhigen, ablenkungsfreien Arbeitsplatz zuweisen sollte. Vielmehr sprechen neuere Ergebnisse und Theorien dafür, dass diese Kinder eine Unteraktivierung im präfrontalen Kortex aufweisen, die sie als unangenehm empfinden. Wird es ihnen langweilig, gehen sie aktiv auf Reizsuche. Sie lassen sich somit nicht einfach von aussen ablenken, sondern suchen gezielt nach Ablenkung. Die Studien zeigen beispielsweise, dass Kinder mit ADHS von moderatem Hintergrundlärm profitieren - beispielsweise von den Geräuschen vorbeifahrender Autos und sich unter solchen Bedingungen besser konzentrieren können. 

Das kann ich auch bei mir feststellen: Sitze ich in einem ruhigen Büro, wächst bei mir eine innere Unruhe. Ich muss dann ständig die Lust unterdrücken, mir einen Kaffee zu machen, aus dem Fenster zu schauen oder die Türe aufzumachen, um zu hören, was auf dem Gang vor sich geht.

Im Café hingegen ist zwar etwas los, aber das alles geht mich nichts an! Und siehe da, die Kulisse an Umgebungsgeräuschen, die vorbeifahrenden Autos und die anderen Gäste helfen mir dabei, mich voll und ganz auf meine Arbeit zu konzentrieren. Ich versinke richtiggehend darin und bekomme gar nichts mehr mit! Auch diese Fähigkeit zum Hyperfokus scheint laut vielen Autoren und unseren eigenen Erfahrungen etwas zu sein, das typisch ist für Kinder und Erwachsene mit ADHS.

Wie reagiert Ihr Kind auf Hintergrundgeräusche? Trifft die Regel "Je ruhiger die Umgebung desto konzentrierter das Kind" auf Ihr Kind tatsächlich zu? Falls Sie sich nicht sicher sind: Probieren Sie es aus! Lassen Sie Ihr Kind einmal im Café die Hausaufgaben erledigen und beobachten Sie, was passiert. Vielleicht werden Sie eine Überraschung erleben?

Verstärkt Alleinsein wirklich die Konzentration?

Viele Eltern sind zudem überzeugt, dass man sich am besten konzentrieren kann, wenn man alleine im stillen Kämmerlein sitzt. Diese Vorstellung ist relativ neu. Früher arbeitet man oft in der Gemeinschaft. Das Büro ist eine relativ neue Erfindung und nicht jedermanns Sache. Viele Kinder könne sich in der Küche oder im Wohnzimmer besser konzentrieren. 

Besonders anregend für die Lernmotivation sind dabei andere Menschen, die ebenfalls arbeiten. 

Eine Mutter, die sich darüber beschwerte, dass sie ständig im Kinderzimmer nachschauen muss, ob ihr Kind auch wirklich die Hausaufgaben erledigt, war erstaunt, wie viel ein Ortswechsel ausmachen kann. Anstatt das Kind mit den Worten: "Es ist langsam Zeit, dass du die Hausaufgaben machst" aufs Zimmer zu schicken, sprach sie eine Einladung aus: "Celine, ich muss noch meine E-Mails erledigen. Magst du solange neben mir die Hausaufgaben machen?" Ihre Tochter genoss es sichtlich, die Hausaufgaben neben der Mutter machen zu dürfen - selbständig, aber eben nicht alleine.

Das Kinderzimmer ist oft der ungünstigste Lernort!

Das Kinderzimmer ist oft noch aus einem anderen Grund kein guter Ort für die Hausaufgaben: Es lädt zu anderen Aktivitäten ein.

Viele Kinder spielen in ihrem Kinderzimmer. Mit der Zeit findet dadurch ein Konditionierungsprozess statt, der dem Lernen entgegensteht. Sie können sich das so vorstellen. Wenn Sie regelmässig Sport treiben, reicht es mit der Zeit bereits aus, dass Sie Ihre Sportkleidung anziehen und die Turnschuhe schnüren oder die Trainingshalle betreten - und schon fühlen sie sich fitter. Ihr Körper weiss, dass er Sie nun mit Energie versorgen muss und bereitet sich auf die sportliche Aktivität vor.

Ist das Kinderzimmer auch das Spielzimmer, finden ähnliche Konditionierungsprozesse statt. Das Kind assoziiert diesen Ort mit Spiel, nicht mit Hausaufgaben und Lernen. Sitzt es am Pult, muss es nun ständig den Impuls unterdrücken zu spielen. Es geht ihm wie dem kleinen Hasen in unserem Film:

Unsere Empfehlung lautet daher: Experimenterien Sie gemeinam mit Ihrem Kind. Probieren Sie verschiedene Orte aus und beobachten Sie Ihr Kind. Lösen Sie sich von fixen Vorstellungen und beobachten Sie stattdessen Ihr Kind. 

Hinweis: Weitere Tipps für das Lernen mit ADHS-betroffenen Kindern vermitteln wir in unserem Seminar "Erfolgreich lernen mit AD(H)S"

Autorenteam

Fabian Grolimund und Stefanie Rietzler führen gemeinsam die Akademie für Lerncoaching in Zürich. Sie sind Autoren folgender Bücher:

         

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Akademie für Lerncoaching
Albulastrasse 57
8048 Zürich

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