Belohnungen: Nützlich oder schädlich?

Viele Eltern versuchen ihre Kinder durch Belohnungen zu motivieren und erhoffen sich, dass die Noten ihrer Kinder durch Geld und Geschenke für gute Zeugnisse besser werden. Nicht wenige lernen in Erziehungskursen, dass sich das Verhalten der Kinder durch Belohnungssysteme, bei denen sich die Kinder Punkte verdienen können, sehr effektiv beeinflussen lässt. Es stellt sich jedoch die Frage: Ist das wirklich sinnvoll?

Darauf eine Antwort zu geben ist gar nicht so einfach - und ein simples ja oder nein wäre falsch.

Müsste ich eine kurze Antwort geben, würde ich sagen:

Seien Sie mit materiellen Belohnungen äusserst vorsichtig und setzen Sie sie nur dann ein, wenn nichts anderes funktioniert. 

Ich wäre aufgrund der folgenden Punkte so sparsam damit:

Belohnungen lassen sich nur schwer wieder entziehen

Belohnungen können der Lernmotivation schaden

In den letzten Jahren haben mir unzählige Eltern berichtet, dass sie in Erziehungstrainings gelernt haben, Belohnungssysteme einzusetzen, um bei ihren Kindern erwünschtes Veralten zu fördern. 

Bei diesen Systemen (wir Psychologen bezeichnen sie als Token Economy) können die Kinder Punkte sammeln und gegen Belohnungen eintauschen, wenn sie sich so verhalten, wie sich die Eltern dies wünschen. Wie das genau geht und welche Erfahrung die meisten Eltern damit machen, zeigt das folgende Beispiel:

Simon und seine Mutter erstellen einen Punkteplan

Immer wieder gibt es bei Lichtsteiners Streit, wenn es um das Thema Lernen und Hausaufgaben geht. Simons Mutter hat sich in einem Erziehungstraining Rat geholt und erfahren, dass ein Punkteplan helfen könnte.

Zusammen mit Simon erstellt die Mutter solch einen Plan. Simon erhält 2 Punkte, wenn er die Hausaufgaben sofort nach der Schule und ohne Ermahnung erledigt. Er bekommt einen Punkt, wenn ihn seine Mutter daran erinnern muss und er sie danach ohne Streit erledigt. Zusätzlich kann sich Simon pro Tag einen Punkt verdienen, wenn er 10 Minuten freiwillig liest. 

Simon erhält jeweils sofort nach den Hausaufgaben bzw. nach dem Lesen eine Murmel (= ein Punkt). Diese kann er sammeln und später gegen eine Belohnung eintauschen. Als Belohnungen wurden vereinbart:

Zoo-Besuch: 12 Punkte
Kino: 8 Punkte
DVD ausleihen: 4 Punkte

Simons Mutter ist begeistert: Simon erledigt doch tatsächlich problemlos seine Hausaufgaben und liest sogar zusätzlich! Der Zoo-Besuch, den sich Simon als erste Belohnung ausgesucht hat, ist ein Spass für die ganze Familie. Die nächsten Wochen verhält es sich genau gleich. Simon liest, macht Hausaufgaben und geht zweimal ins Kino und leiht sich DVDs aus. Nach der fünften Woche ist er allerdings etwas weniger begeistert. Er will nicht schon wieder in den Zoo und die meisten Filme, die ihn interessiert haben, hat er gesehen. Die Belohnungen haben sich abgenutzt - es müssen neue her. Zum Beispiel:

Besuch des Alpamare: 12 Punkte
Schlittschuh-Laufen: 6 Punkte

Simon gefällt das Belohnungssystem sehr. Seine Mutter merkt, dass er auch bei anderen Dingen (Geschirr spülen, mit dem Hund spazieren gehen) immer öfter fragt: Was kriege ich dafür?

Ihr selbst wird es langsam zu viel. Das ständige Verteilen der Punkte, das Eintauschen, das Verwalten des Systems - langsam kommt sich Simons Mutter vor wie eine Buchhalterin. Gleichzeitig merkt sie: "Wenn ich das System jetzt wieder wegnehme, geht die Motivation völlig flöten!" Und blöderweise ist das Erziehungstraining schon zu Ende - man hat ihr lediglich beigebracht, wie man das System einsetzt, aber nicht, wie man es wieder ausblendet!

Das grösste Problem bei diesen Systemen ist (und das hat Simons Mutter gut erkannt): Wenn man für ein bestimmtes Verhalten eine Belohnung gibt und sie dann wieder entzieht, kommt dies einer Bestrafung gleich. Stellen Sie sich vor, Sie würden freiwillige Arbeit für einen gemeinnützigen Verein leisten und plötzlich wird beschlossen, Sie dafür mit Fr.30.- pro Stunde zu entlöhnen. Nach einem Jahr muss der Verein feststellen, dass er mehr Geld ausgibt als einnimmt - und Ihr Lohn wird wieder gestrichen. Es kann gut sein, dass Sie die Arbeit, die Sie zuvor noch freiwillig und unentgeltlich erledigt haben, nun nicht mehr machen möchten. Auf dieselbe Weise gewöhnen wir uns sehr schnell an eine Gehaltserhöhung. Aber wehe, man würde diese wieder rückgängig machen!

Belohnungen wirken nicht, wenn Kinder nicht an sich glauben

Manche Eltern sind überrascht, dass sich ihre Kinder nicht anstrengen, obwohl sie ihnen einen heiss ersehnten Wunsch erfüllen würden, wenn sie im Zeugnis einen bestimmten Notendurchschnitt erreichen. 

Woran könnte dies liegen?

Vielleicht daran, dass den Motivationsproblemen eine ganz andere Ursache zu Grunde liegt..

Immer wenn wir etwas erreichen möchten, stellen wir uns - unbewusst - drei Fragen:

  1. Muss ich dafür etwas tun?
  2. Traue ich mir das zu? Kann ich das lernen?
  3. Ist es mir wichtig?

Motiviert sind wir nur dann, wenn wir auf alle drei Fragen mit Ja antworten können. Strengt sich ein Kind in der Schule nicht an, könnte dies somit unterschiedliche Ursachen haben.

Vielleicht liegt es an Frage 1: Ist das Kind sehr begabt, hat es vielleicht gelernt, dass es auch ohne Anstrengung zu guten Noten kommt. Wozu soll es also lernen? 

Vielleicht liegt es aber auch an Frage 2: Das Kind hat die Erfahrung gemacht, dass es schon öfters auf Prüfungen gelernt hat und dennoch nicht zu einem guten Resultat kam. Es sieht immer weniger einen Zusammenhang zwischen seinen Anstrengungen und den Noten. Warum soll es also lernen, wenn es sich dadurch seiner Meinung nach nicht verbessert? 

Vielleicht liegt es auch an Frage 3: Dem Kind sind gute Noten einfach nicht wichtig. 

Wann würde die Belohnung etwas nützen? Eigentlich nur im dritten Fall. Würden wir in einer Klasse Geld für gute Noten verteilen, würden die Besten dadurch nicht mehr lernen - sie wissen, dass sie das Geld sowieso erhalten. Kinder, die Schwierigkeiten haben und keinen Zusammenhang zwischen ihren Anstregungen und den Noten sehen (und sich zum Beispiel sagen: "Das kann ich eh nicht!") würden durch das Belohnungssystem nur zusätzlich frustriert (Was? Jetzt bekommen die guten Schüler nicht nur gute Noten, sondern auch noch Geld und ich gehe doppelt leer aus?). Motiviert würden lediglich die Schüler, die noch nicht gut sind, aber genau wissen, dass sie sich durch zusätzliche Anstrengung schnell verbessern können. Und auch bei diesen stellt sich die Frage: Ist es mir das wert? Will ich nicht doch lieber heute einen freien Nachmittag als in einem halben Jahr vielleicht ein Fahrrad? Die Belohnung, die wir sicher und heute erhalten ist nämlich sehr viel attraktiver als die Belohnung, die wir vielleicht irgendwann in einem halben Jahr erhalten. 

Schauen wir uns ganz kurz die häufigsten Probleme an, die auftauchen können, wenn wir Belohnungen einsetzen:

Die häufigsten Probleme, die bei Belohnungen auftreten

Wir gewöhnen uns an Belohnungen

Wir haben die Tendenz, uns an Belohnungen zu gewöhnen. Dies kann dazu führen, dass die Belohnungen immer grösser werden müssen, um die Kinder weiter zu motivieren.

Belohnungen können die intrinsische Motivation reduzieren

Machen wir etwas gerne und freiwillig und werden dann dafür materiell belohnt, kann es sein, dass die innere (intrinsische Motivation) sinkt. Fällt dann die Belohnung weg, sinkt die Motivation unter das ursprüngliche Niveau. 

Belohnungen sind oft nicht wirksam

Belohnungen bewirken oft wenig, weil sie zum Beispiel:

  • zeitlich zu weit weg sind (das Fahrrad am Ende des Schuljahres)
  • unerreichbar scheinen (das Geld für die guten Noten für einen Schüler, der nicht an sich und seine Fertigkeiten glaubt)
  • für das Kind weniger attraktiv sind als gedacht 
  • vom Kind als Manipulations-Versuch wahrgenommen werden

Belohnungen können die Einstellung des Kindes negativ beeinflussen

Wie bei Simon in unserem Beispiel kommt es oft vor, dass sich Kinder schnell daran gewöhnen, zusätzlich motiviert zu werden. Sie sehen dann beispielsweise die Hausaufgaben nicht mehr als ihre Pflicht, sondern als etwas, das sie nur tun, wenn sie entsprechend dafür "bezahlt" werden. Bald macht sich eine "Was bekomme ich dafür"-Haltung breit. 

Belohnungen können aber - sparsam und richtig eingesetzt - durchaus sinnvoll sein. 

Sinnvoll eingesetzt können Belohnungen wirksam sein

Belohnungen können Sinn ergeben, wenn wir darauf achten, dass sie:

  • sparsam eingesetzt werden
  • einfach zu vergeben sind (nicht nach komplizierten Punkteplänen)
  • nur für zusätzlichen Aufwand vergeben werden (z.B. eine Zusatzaufgabe) und nicht für die Pflichten (z.B. die Hausaufgaben)
  • sofort auf das erwünschte Verhalten erfolgen
  • für das Kind wirklich attraktiv sind
  • einfach wieder entfernt werden können

Das klingt kompliziert. Die folgenden beiden Beispiele zeigen jedoch, wie das funktionieren kann:

Florian hat Mühe mit der Rechtschreibung

Florian müsste unbedingt mehr Übungen zur Gross- und Kleinschreibung machen. Mit seinen Eltern hat er abgemacht, an drei Tagen pro Woche ein zusätzliches Übungsblatt  zu diesem Thema zu lösen. Da Florian abends immer etwas länger aufbleiben möchte, haben ihm seine Eltern angeboten, dass er an den Tagen, an denen er übt, 15 Minuten länger aufbleiben darf. Auf diese Weise erhält Florian die Zeit zurück, die er tagsüber in die Übung investiert hat.

Selina sollte über die Ferien lesen

Selinas Lehrerin meinte im Elterngespräch, dass Selina aufgrund ihres langsamen Lesetempos auch während der Ferien ein wenig lesen sollte. Da sich Selina seit längerem eine Legoburg wünschte, beschloss der Vater, ihr diese zu kaufen. Er vereinbarte mit Selina, dass diese an den Wochentagen jeweils 15 Minuten mit ihm lesen würde. Da die Sommerferien 5 Wochen dauerten, teilte der Vater die Legosteine durch 25 und gab Selina jeweils gleich nach dem Lesen die nächsten 3 bis 4 Legosteine. Nach und nach entstand auf diese Weise nach dem Lesen die Legoburg, die Selina Besuchern jeweils stolz als ihre Leseburg vorstellte. 

Der Vater achtete jedoch darauf, dass Selina verstand, dass sie diese Belohnung nur während der Ferien und nur für das zusätzliche Üben erhielt. Gleichzeitig legte er Wert darauf, dass die Leseübungen durch eine Lesekerze (die nur während des gemeinsamen Lesens angezündet wurde), abwechselndes Lesen, ein spannendes Buch und regelmässiges Lob für kleine Fortschritte so angenehm waren, dass Selina diese nach den Ferien freiwillig fortführen wollte (sie hatte nämlich auch gemerkt, dass sie diese Zeit, in der sie ihren Vater ganz für sich alleine hatte, sehr genoss ;-)

Auf diese Weise konnte die materielle Belohnung nach und nach durch andere Belohnungen in Form von Anerkennung, gemeinsamer Zeit und Freude über Fortschritte abgelöst werden.

Hinweis: Mehr zum Thema Motivation erfahren Sie im Buch "Mit Kindern lernen" sowie in unserem kostenlosen Online-Kurs "Mit Kindern lernen".

Autorenteam

Fabian Grolimund und Stefanie Rietzler leiten gemeinsam die Akademie für Lerncoaching in Zürich. Beide verbindet die große Begeisterung und Leidenschaft für das Schreiben von Büchern und für die Entwicklung neuer Projekte. Das Experten-Team bietet Seminare für Eltern und Weiterbildungen für Fachpersonen rund um das Thema "Lernen" an.

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