Unterschiedliche Lerntypen
Immer wieder werden wir in unseren Seminaren auf die verschiedenen Lerntypen angesprochen. Es sei vorweg genommen, dass wir der Kategorisierung in auditive, visuelle und kinästhetische Lernende kritisch gegenüber stehen. Allerdings möchten wir Ihnen diesen weit verbreiteten Ansatz nicht vorenthalten und gerne auch aus wissenschaftlicher Sicht dazu Stellung nehmen.
Es gibt eine ganze Reihe von Konzepten, die sich mit der Unterteilung in verschiedene Lerntypen bzw. Lernstile beschäftigen. Hauptsächlich finden wir die Darstellung von drei Lerntypen: auditiv, visuell und kinästhetisch, die je nach Autor unterschiedliche Bezeichnungen tragen.
Der auditive Lerntyp
Der auditive Lerntyp ist im Volksmund als der „Zuhörer“ bekannt. Er soll Informationen besonders gut aufnehmen, verarbeiten und wiedergeben können, wenn er diese über die Ohren wahrnimmt. Er müsste demnach besonders effektiv lernen, wenn ihm Inhalte in einem Vortrag oder einer Schulstunde mündlich vorgetragen oder Erklärungen mündlich vorgegeben werden.
Immer wieder verweisen Verfechter der Lerntypen- Kategorisierung auch darauf, dass auditive Lerntypen sich leicht von Hintergrundgeräuschen ablenken liessen, da dieser Sinneskanal bei ihnen besonders sensibel sei.
Der visuelle Lerntyp
Der bevorzugte Sinneskanal des visuelle Lerntyps sind sie Augen. Demnach sollte dieser Lerntyp vom Beobachten von Zusammenhängen, dem Lesen von Texten, der Erstellung von Mind-Maps oder dem Zurateziehen von Bildern, Illustrationen oder Graphiken besonders profitieren. Der visuelle Lerntyp brauche schöne Mitschriften und einen geordneten Arbeitsplatz, da er sich ansonsten bei der Arbeit gestört fühle.
Der kinästhetische Lerntyp
Der kinästhetischer Lerntyp präferiert das "learning by doing". Lerninhalte zu verinnerlichen bedeutet für diesen Lerntyp Informationen zu „be-greifen“. Zu erfühlen und ertasten- Handlungsabläufe auszuprobieren und direkt am Lerngeschehen beteiligt zu sein, müsste dem kinästhetischen Lerntypen demnach beim Lernen enorm zu Gute kommen. Bewegung (beispielsweise das auf- und –ab Gehen im Zimmer) werde zur Verinnerlichung der Lerninhalte genutzt.
Lernstile und Lerntypen: inzwischen wissenschaftlich widerlegt!
Das Lerntypen- Konzept ist in dem Bestreben entstanden, individuelle Unterschiede zwischen Lernenden anzuerkennen und optimale Lernbedingungen für jeden einzelnen von ihnen auszumachen. Und tatsächlich ist es positiv, das eigene Lernverhalten zu hinterfragen und optimale Lernbedingungen zu schaffen. Dazu gehört auch, sich aktiv damit auseinanderzusetzen:
- welche Materialien beim Lernen nützlich sind
- in welcher Lernumgebung man am effektivsten arbeitet
- wie man Informationen aufbereiten kann, damit sie langfristig behalten werden
Sich zur effektiven Vorbereitung beim Lernen auf einen Sinneskanal zu fokussieren, entspricht jedoch nicht den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Pashler et al. (2009) sowie Newton et al. (2021) kommen in ihren Reviews über viele Studien hinweg zu folgendem Schluss: Lernende glauben zwar fest daran, dass sie über ihren "präferierten Kanal" am besten lernen - ihre Merkleistung ist aber in einem realen Test nicht besser, wenn sie die Informationen ihrem Lerntypen entsprechend gelernt haben.
Professor Newton von der Universität Swansea konnte 2021 zudem zeigen, dass fast 90% der Lehrkräfte in aller Welt dennoch glauben, dass es wirksam ist, den Lernstil bzw. Lerntypen festzustellen und Schüler/innen dazu anzuleiten, "lerntypengerecht" vorzugehen.
Dazu trägt auch die Vielzahl von Ratgebern bei, die den Lerntypen-Ansatz weiterhin propagieren und dazu Experimente, Fragebögen etc. bereitstellen, die wiederum in Unterricht und Lernberatungen eingesetzt werden.
Mehrkanaliges, vertieftes Lernen anstatt lerntypengerechtes
Anstatt des präferierten Sinneskanals ist vielmehr die Verarbeitungstiefe entscheidend dafür, wie gut und dauerhaft wir uns Lerninhalte merken können. Damit Nervenzellen zahlreiche, starke und zeitstabile Verbindungen miteinander eingehen, müssen wir Informationen:
- mit mehreren Sinnen verarbeiten, z.B. eine Buchseite lesen, Informationen mündlich laut zusammenfassen, Schlüsselwörter herausschreiben, uns ein passendes Bild dazu vorstellen etc.
- tief verarbeiten, d.h. uns aktiv mit den Lerninhalten beschäftigen, indem wir Zusammenhänge herstellen, über Informationen nachdenken, Beispiele zum Thema suchen oder verschiedene Aspekte mit Anderen diskutieren sowie den Stoff aktiv aus dem Gedächtnis abrufen.
- mit Gefühlen verknüpfen, indem wir sie in einer positiven Atmosphäre lernen, uns fragen, was die Inhalte für uns bedeuten und was uns der Stoff für unser Leben nützt.
Lediglich in Ausnahmefällen ist es ratsam, sich auf einen präferierten Sinneskanal zu konzentrieren, z.B. im Umgang mit auditiven Wahrnehmungs-/ Verarbeitungsstörungen oder Blindheit.
Ein versöhnliches Wort zum Abschluss
Für die Verfechter des Lerntypen- Konzepts möchten wir gerne zum Abschluss ein versöhnliches Wort aussprechen: Wir sind uns darüber bewusst, dass es große individuelle Unterschiede im Lernen gibt und wir sind auch in unseren Seminaren stets bestrebt, die Teilnehmer/innen zu kreativen Lösungen anzuregen und sie dazu einzuladen, sich immer wieder auch auf Lernexperimente mit neuen Lernmethoden oder an neuen Lernorten einzulassen. Um effektiv zu lernen ist es wichtig, sich selbst zu reflektieren und mit der Zeit immer mehr an optimalen individuellen Lernstrategien zu feilen. Fabian arbeitet und schreibt z.B. gerne im Café, da er sich dort optimal konzentrieren kann, wohingegen ich (Stefanie) ein ruhiges Arbeitsumfeld benötige, um mich bestmöglich zu fokussieren. Ein Schüler fertigt gerne Mind- Maps an, während der andere sich die Texte lieber aufs Handy aufnimmt und immer wieder anhört. Wenn es uns als Eltern und Fachpersonen darum geht, Lernende dazu anzuregen, sich mit ihrem eigenen Lernverhalten auseinander zu setzen und wir ihnen vermitteln, dass Lerninhalte aktiv und tief verarbeitet werden müssen, wird es fast unwichtig, von welchem dahinterliegenden Konzept wir uns dabei leiten lassen.
Weitere Informationen zum gedächtnisgerechten Lernen finden Sie hier.
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